Demokratie, liberale repräsentative Demokratie, funktioniert per Definition konjunkturabhängig, durch die Zyklen periodischer Wahlen, wird aber letztendlich historisch rückblickend beurteilt. Die Demokratie bewegt sich im Tempo der kurzfristigen Geschichte, aber die Ergebnisse demokratischer Entscheidungen erscheinen oft in den Tiefen der langfristigen Geschichte.
Der parallele Aufstieg des radikalen Nationalismus und der extremen Rechten, die Ausbreitung des Euroskeptizismus, die Tendenz zur illiberalen Demokratie, die britische Entscheidung für den Brexit sind individuelle Phänomene, die - auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlichem Tempo von Land zu Land - auf einen gemeinsamen Nenner bewegen, der das Funktionieren, die Pathologien und die Widerstandsfähigkeit der Demokratie ist.
Die moderne Ära, die die integrierte Form der liberalen Demokratie in den Vordergrund gerückt hat, hat jedoch auch die Institution hervorgehoben, die versucht, die Beziehung zwischen Demokratie und Konjunktur sowie Geschichte gleichzeitig zu versöhnen. Diese Institution ist die Verfassung.
Wenn der Prozess der Verabschiedung oder Überarbeitung der Verfassung im Gange ist, dann erhält die konstitutionelle oder revisionsabhängige Konjunktur das schwere und gefährliche Privileg, historische Merkmale für sich zu beanspruchen. Dann entsteht die Gefahr, dass Entscheidungen, die oberflächlich, momentan, zufällig, unverarbeitet, populistisch - oder zumindest einfach opportunistisch - sind, die maximale rechtliche Kraft einer verfassungsrechtlichen Bestimmung erlangen und als "historisch" erscheinen. Es gibt jedoch keine schlimmere Form des Populismus als den verfassungsrechtlichen Populismus. Dieses Buch soll genau als Gegengewicht zum verfassungsrechtlichen Populismus fungieren.