Was ist mit dem Gemeinwohl passiert?

Wir leben in gefährlichen Zeiten für die Demokratie, in einer Ära, in der die Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern immer größer wird. Wir erleben einen populistischen Aufstand gegen traditionelle Parteien und Eliten, die Schwierigkeiten haben, die Ursachen dieser Unzufriedenheit zu verstehen, die weltweit politische Unruhen verursacht. Die Wahl von Donald Trump sowie der Triumph des Brexit in Großbritannien waren wütende Reaktionen auf Jahrzehnte zunehmender Ungleichheiten und eine Version der Globalisierung, die denjenigen an der Spitze zugutekommt und den alltäglichen Bürgern ein Gefühl der Hilflosigkeit und Frustration hinterlässt. Es war auch eine Zurückweisung der technokratischen Sichtweise der Politik, die die Verbitterung derjenigen ignoriert, die das Gefühl haben, den Zug der Wirtschaft und Kultur verpasst zu haben. Auch die europäischen Demokratien befinden sich in einer ähnlichen Sackgasse.

Michael Sandel zufolge müssen traditionelle Parteien, wenn sie die Bürger zurückgewinnen wollen, ihre Mission und ihren Zweck überdenken. Und um dies zu erreichen, müssen sie aus dem populistischen Protest lernen, der sie verdrängt hat - nicht indem sie die Fremdenfeindlichkeit und den intensiven Nationalismus kopieren, die ihn kennzeichnen, sondern indem sie die berechtigten Beschwerden hinter diesen unangenehmen Gefühlen ernst nehmen. Sie müssen auch etwas Subtileres, aber nicht weniger Wichtiges überdenken: unsere Einstellung zu Erfolg und Misserfolg, die den Anstieg der Ungleichheiten in den letzten Jahrzehnten begleitet hat. Der populistische Protest ist nicht nur ein Ausdruck der Unzufriedenheit mit Einwanderern, der Auslagerung wirtschaftlicher Aktivitäten von Unternehmen in andere Länder und der Lohnstagnation. Er richtet sich auch, und das zu Recht, gegen die Tyrannei des Verdienstes.

Sandel weist auf die Arroganz hin, die die Meritokratie bei den Gewinnern hervorruft, und auf die Grausamkeit, die diejenigen erleiden, die zurückgelassen werden. Er schlägt auch einen alternativen Ansatz zum Erfolg vor - einen, der die Rolle des Glücks in menschlichen Angelegenheiten hervorhebt, eine Ethik der Demut und Solidarität fördert und offener für eine Politik ist, die dem Konzept des Gemeinwohls dient.